Unser Mittelwald: Die Schatzkammer vor der Haustür
Über die Dinge vor der eigenen Haustür macht man sich oft keine Gedanken. Doch gerade auf unseren Mittelwald lohnt sich ein genauerer Blick. Denn als einer der letzten seiner Art ist er eine Rarität. Während bis vor zirka 200 Jahren noch fast jeder Wald ein Mittel- oder Niederwald war, ist die bewirtschaftete Mittelwaldfläche heute auf nur noch ca. 6.000 Hektar in Deutschland geschrumpft. Etwa 55 Hektar davon liegen in unserer Gemeinde Weilersbach.
Mittelwald – was ist das eigentlich? Ein Mittelwald ist ein komplexer und vielschichtiger Waldbestand, in dem einzelne hohe Laubbäume (=Oberholz, fränkisch: Lassreitel) verschiedenen Alters über Gehölzaufwuchs aus wiederaustreibenden Baumstümpfen (= Stockausschlägen) stehen. Jedes Jahr werden auf einer anderen Teilfläche im Wald die gesamten Stockausschläge und manchmal auch Teile des Oberholzes geerntet. Wenn nach meist 18 bis 30 Jahren aus den Baumstümpfen erneut arm- bis beindicke Stämme entstanden sind, beginnt der Erntezyklus von Neuem.
von Martin Renger
Direkt nach der Holzernte wirkt unser Mittelwald oft etwas kahl oder gar „verwüstet“. Was optisch zunächst nicht so ansprechend aussieht, wird schnell zum Gewinn für die Biodiversität. Durch die Ernte dringt sehr viel Licht auf den Waldboden und lässt im Boden schlummernde Pflanzensamen keimen. Bei einem Spaziergang durch den Weilersbacher Mittelwald lassen sich beispielsweise Königskerze, Kratzdisteln, Himbeeren und der Wasserdost entdecken – aber auch selten vorkommende Orchiedeenarten profitieren von der regelmäßigen Auflichtung des Kronendaches. Die reiche Krautschicht wird zudem insbesondere in den ersten Jahren gerne von licht- und wärmeliebenden Tierarten wie Zauneidechsen und Blindschleichen besiedelt.
Das Nebeneinander unterschiedlich alter Bäume von 30 bis 120 Jahren sowie lichter und dichter Teilflächen führt zu einer enormen Strukturvielfalt auf relativ kleinem Raum. So finden in unserem Mittelwald nicht nur auf Alt- und Totholz spezialisierte Tier- und Pflanzenarten ideale Lebensbedingungen, sondern auch solche, die normalerweise in Waldsäumen und Gebüschen oder in der offenen Kulturlandschaft vorkommen. Damit kann der Mittelwald eine Art Arche Noah für viele Tiere wie den Hirschkäfer] , die Spanische Flagge (Falter), den Schillerfaltern und auch Pflanzen wie etwa die Türkenbundlilie und unsere seltenen, endemischen Mehlbeerenarten der Frankenalb, die andernorts kaum noch Überlebenschancen haben, sein. So zählen Mittelwälder mit zu den artenreichsten Lebensräumen, die es in Deutschland gibt.
Spanische Flaggen von Andreas Schmitt
Hirschkäfer von Boris Mittermeier
Grossblütige Koenigskerze von Philipp Gilbert
Blindschleiche von Kathrin Weber
Der Mittelwald ist aber nicht nur aus naturschutzfachlicher, sondern auch aus kulturhistorischer Sicht äußerst wertvoll. Über Jahrtausende hinweg war die Mittelwaldbewirtschaftung das Erfolgsmodell schlechthin, weil der Mittelwald beinahe alle materiellen Bedürfnisse der historischen Gesellschaften befriedigen konnte. Die Stockausschläge lieferten regelmäßig Brenn- und Werkholz für dünnere Sortimente, das mit einfachen bäuerlichen Werkzeugen geerntet werden konnte, und aus dem Oberholz wurde Bauholz gewonnen. Vom Rechenzinken bis zum Fachwerkhaus ließ sich alles aus Mittelwaldholz herstellen - sogar für Dachrinnen fand das Holz Verwendung.
Aus verschiedenen Gründen hat die Mittelwaldwirtschaft seit dem 19. Jahrhundert drastisch abgenommen und wurde letztendlich fast überall zugunsten der Hochwaldbewirtschaftung nicht mehr praktiziert. Doch veraltet ist die Mittelwaldwirtschaft keineswegs. Im Gegenteil: In einer Zeit des Artensterbens sind die wenigen verbliebenen Mittelwälder wichtige Trittsteine für das Netz der Natur und Rückzugsorte für hochgradig gefährdete Arten. Jeder Hektar zählt. Um den Erhalt dieses wertvollen Lebensraums zu fördern, honoriert das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz die traditionelle Mittelwaldbewirtschaftung der privaten und körperschaftlichen Waldbesitzern im Vertragsnaturschutzprogramm Wald. In Zusammenarbeit mit der Unteren Naturschutzbehörde Forchheim und der Unteren Forstbehörde des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bambergs werden seit 2009 diese Fördermaßnahmen zielgerichtet umgesetzt.
Außerdem geben Studien aus anderen europäischen Ländern Hinweise auf die Zukunftssicherheit von Mittelwäldern angesichts des Klimawandels. So ist und bleibt unser Mittelwald gleich in mehrfacher Hinsicht ein sehr wertvoller Teil der Natur- und Kulturlandschaft im Landkreis Forchheim.
Nähere Informationen zum Vertragsnaturschutzprogramm Wald erhalten Sie unter:
Link: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz
Link: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus
https://www.waldbesitzer-portal.bayern.de/048720/index.php